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Mit "neue Wirklichkeit" wird das Leben im Shutdown angesichts der Corona-Pandemie häufig umschrieben und ich frage mich immer wieder, was daran neu ist. Klar, auch mir ist nicht entgangen, dass Restaurants, Kneipen, Geschäfte, Fitnessstudios, Schulen, Kindergärten und vieles mehr schließen mussten und noch immer ihren Betrieb nicht wieder vollständig aufnehmen konnten; Mund-Nasen-Schutz, Abstand und keine großen Feiern oder Veranstaltungen. Ja, all dies ist mir bekannt und halte ich ein, dennoch bleibt für mich die Frage was daran so wirklich neu ist. Ich glaube für viele Menschen mit Beeinträchtigungen ist dies so neu nicht wirklich. Ich behaupte, dass dies für viele Menschen unter uns schon lange Lebenswirklichkeit ist und hoffe, dass diese Pandemie vielleicht auch eine Chance sein könnte, das Thema Inklusion neu zu kommunizieren.
Ups, Pandemie, Inklusion … vermutlich haben einige den Beitrag jetzt schon weggeklickt. Weder ein Virus noch Inklusion sind für viele Menschen sexy Themen oder versprechen einen locker flockigen Beitrag. Dennoch hoffe ich, dass du neugierig genug bist um weiter zu lesen.

Wie in all meinen anderen Beiträgen geht es mir nicht um einen Fingerzeig auf andere. Ich berichte aus meinem Leben, über meine Gedanken. Mir ist durchaus bewusst, dass es auch viele Menschen gibt, die die Wochen des Shutdowns ganz anders erleben und damit weniger gut zurechtkommen. Psychische Beeinträchtigungen, familiäre Probleme oder existenzielle Sorgen … Gründe gibt es genug.
Kommen wir nun aber zu meiner Wirklichkeit und dazu, was es aus meiner Sicht mit Inklusion zu tun hat beziehungsweise haben könnte.

Meine alte neue Wirklichkeit

Die Wirklichkeit ändert sich derzeit wöchentlich. Inzwischen erfahren wir nach und nach Lockerungen und ich höre das befreite Aufatmen vieler Mitmenschen. Ich empfinde es hingegen nicht als befreiend. Noch immer ist der Virus auf seiner Durchreise und noch immer gibt es keinen Impfstoff. Die Bilder aus unseren Nachbarländern Italien und Frankreich sind in meinem Kopf noch immer so präsent, dass jeglicher Wunsch nach Kino- oder Kneipenbesuchen im Keim erstickt.
Woher kommt also dieses befreite Aufatmen vieler Mitmenschen? Auch sie haben die Bilder gesehen, auch sie haben Familie und Freunde, denen sie sicher nichts Böses wünschen. Vielleicht steckt ein Teil der Antwort in dieser Aussage: Weil sie es können!

Vieles kann ich einfach nicht oder nicht so unkompliziert wie meine sehenden Mitmenschen. Wenn ich beispielsweise in die Sauna möchte, fällt mir da zunächst der heiße Ofen ein und ich überlege mir daher wen ich als sehende Begleitung anheuere. Also, Sonntag und Schmuddelwetter, Tasche packen und los … vergiss es. So eine Sache muss schon mit ein wenig Vorlauf geplant sein. Selbst wenn ich meinen ganzen Mut zusammen nehme und doch alleine losziehe, wird es nicht einfacher. Das erfordert dann nämlich volle Konzentration auf die mir noch verbleibenden Sinne. Sieht so ein entspannter Saunanachmittag aus?
Mit einer Freundin, die im Rollstuhl sitzt, ins neue Szene-Café oder ins Kino? Gerne, aber erst mal nachfragen, wie es dort mit der Barrierefreiheit so aussieht.
Das was also derzeit für viele Menschen der Shutdown bedeutet, sind für mich die Barrieren und du glaubst ja nicht, wo die alle lauern … ach doch, als aufmerksamer Leser dieses Blogs kennst du bestimmt auch schon den Beitrag Sommerzeit ist Reisezeit 2.

Ich habe also vor gut zwanzig Jahren schon meinen ganz persönlichen Shutdown erlebt. Inzwischen habe ich mein Leben so eingerichtet, dass ich dennoch aus voller Überzeugung behaupte, dass ich ein weitestgehend selbstbestimmtes und erfülltes Leben führe. Wie du in anderen Beiträgen lesen kannst gehe ich gerne in die Arena um die Atmosphäre bei Handballspielen zu genießen, ich gehe in Restaurants und Kneipen, ins Kino und ich Reise sehr gerne. Weder die Blindheit noch die Barrieren können mich daran hindern. Ich habe inzwischen Wege gefunden und mich zum Organisationstalent gemausert und vor allem habe ich gelernt, dass nicht immer alles so geht wie ich es gerade gerne möchte.

Was ist nun die Moral aus all dem?

Der Shutdown hat uns in den vergangenen Wochen alle behindert. Unser Leben stand still und jetzt mit den Lockerungen kommt nachvollziehbarer Weise das große Aufatmen. Für mich bleiben allerdings die Barrieren. Klar, auch ich kann wieder in die Sauna oder mit einer Freundin im Rollstuhl in die Kneipe. Das heißt, das muss ich ja erst noch mal klären. Du weißt schon, die Stufen, der heiße Ofen …

Ich behaupte also, dass was ein Impfstoff gegen den Virus für uns derzeit bedeutet, bedeutet Inklusion für Menschen mit Beeinträchtigungen, ältere Menschen, Familien mit Kinderwagen, Reisende mit schwerem Gepäck … letztlich für uns alle.
Während nun also viele wieder langsam aufatmen, warte ich noch immer auf die neue Wirklichkeit und ich würde mich freuen, wenn dieser Beitrag und die Erfahrungen der letzten Wochen vielleicht den ein oder anderen zum Nachdenken anregen. Inklusion ist nämlich viel mehr als eine schöne oder phantastische Vision. Inklusion verspricht ein buntes Leben mit Restaurant- und Kinobesuchen, Sauna- und Freizeitspass für alle!

Als Einstieg in meinen letzten Beitrag Käse, Kaffee und Co. - So kommen sie in meinen Kühlschrank wählte ich die gerade angebrochene Fastenzeit. Das war vor einem Monat. Inzwischen ist das Fasten dem Hamstern von haltbaren Lebensmitteln und Toilettenpapier gewichen. Während langsam also viele Kühl- und Vorratsschränke aus allen Nähten platzen dürften, herrscht in unseren Terminkalendern gähnende Leere. Der Corona-Virus hat unser Leben fest im Griff.
Lange habe ich überlegt, ob nun auch ich noch etwas darüber schreiben soll, und wenn ja, was. Da ich in diesem Blog ja aber über mein Leben schreibe, gehört auch mein Umgang mit dieser aktuellen Herausforderung dazu. Hier nun also mein ganz persönliches Rezept.

Bittere Pillen schlucken!

Es gibt Situationen im Leben, die kann man nicht ändern. Das ist keine faule Ausrede, eher ein Fakt.
Weder kann ich etwas an der Tatsache ändern, dass ich blind bin, noch an der Existenz des Corona-Virus. Angesichts dessen, dass solche Pillen wirklich bitter schmecken können, gilt es diese möglichst schnell zu schlucken. Es stellt sich also nicht die Frage ob, sondern wie man damit umgeht.

Im Hinblick auf die Corona-Pandemie scheint das "Wie" auch schnell beantwortet zu sein: Zuhause bleiben und physische Kontakte zu anderen Menschen meiden! Da ich bei den Gassi-Runden mit meinem Blindenführhund immer mal wieder den Eindruck habe, dass die Verwunderung einem blinden Menschen zu begegnen größer ist als die Sorge einer eventuellen Ansteckung, nehme ich dies auch sehr ernst. Lebensmittel lasse ich mir also liefern und versuche als Reha-Ausbilderin meine Teilnehmer während der Heimlernphase so gut wie möglich zu unterstützen.

Bitterer Nachgeschmack?

Na klar, auch ich hatte ein Leben vor Corona. Auch ich hatte Pläne und Vorhaben auf die ich mich gefreut habe. Am 01. April sollte meine jährliche Veranstaltung "Arbeit und Inklusion" mit Diskussionsrunde und Rahmenprogramm stattfinden - kein Scherz. Die wesentlichen Vorbereitungen hierfür waren abgeschlossen und die Einladungen verschickt. Das heißt ich hatte bereits jede Menge Arbeit investiert und mich auf die Veranstaltung, aber auch auf die Zeit danach gefreut: Osterferien, Frühling, Sommer. Ich wollte mal wieder zu einem Handballspiel, in netter Gesellschaft ein Käffchen oder ein Bier trinken. Auch die Vorfreude auf den geplanten Sommerurlaub Anfang Juni wuchs wöchentlich. Stopp! Auch wenn die Pille bitter war, muss ich den Nachgeschmack ja nicht auch noch künstlich in die Länge ziehen.

Nachspülen und genießen!

Die Vorratsschränke sind voll, es dürfte jetzt also nicht so schwer sein, etwas zu finden, womit sich der bittere Nachgeschmack verdrängen lässt. Bei mir liegt Schokolade ganz oben. Übertroffen wird sie aber durch die Tatsache, dass bisher weder ich noch meine Familie oder Freunde infiziert sind. Die Nachrichten aus den Nachbarländern tragen ihr Übriges dazu bei, dass ich derzeit wirklich gerne zu Hause bleibe.

Um mein Leben dann auch noch mit einem Zuckerrand zu versehen, muss ich mich nicht zwingend kopfüber aus dem Haus stürzen. Auch zu Hause gilt: Ich brauche eine sinnvolle Aufgabe. Die Möglichkeit, mich im Homeoffice nützlich zu machen, trägt daher sehr zu meinem Wohlbefinden bei; und auch wenn noch nichts spruchreif ist, für die nahenden Osterferien habe ich auch wieder Pläne. Möglichkeiten wie über diese Engagement-Plattform gibt es inzwischen ja einige:
https://engagiert-in-halle.de/

Die Reiselust stille ich mit meinem Lieblings-Podcast und ansonsten gilt so wie so immer: Ich umgebe mich vorwiegend mit Menschen, die mir gut tun. Ob übers Telefon, die sozialen Netzwerke, Messenger-Dienste, die Möglichkeiten sind so vielfältig wie noch nie.
Freunde, für die im Alltag häufig viel zu wenig Zeit bleibt, fragen wie es einem geht; und neulich rief sogar ein WG-Mitbewohner aus Abi-Zeiten an, mit dem ich seither keinen Kontakt mehr hatte. Auch wenn wir unsere Telefonnummern bereits seit mehreren Monaten über einen gemeinsamen Freund ausgetauscht hatten, hat es nicht geklappt. Absicht? Nein, man ist einfach immer sehr beschäftigt. Will sagen, auch in Zeiten von "social distancing" ist ganz viel soziale Nähe möglich!

Verbunden mit dem Wunsch, dass auch du ganz viel soziale Nähe erfährst und gesund durch diese Zeit kommst, hier noch mein Lieblingsfoto 2020.Foto: geöffnetes PaketDieses Paket mit Hundefutter, Dosenwurst aus eigener Schlachtung und einem mit Liebe gebackenen Nusskuchen erhielt ich vor wenigen Tagen von meinen Eltern. Die Rolle Toilettenpapier, die als Füllmaterial zum Schutz des begehrten Inhalts diente, zauberte außerdem ein breites Grinsen auf mein Gesicht.

Wenn du weitere Tipps hast, die uns die Zeit zu Hause versüßen, teile diese gerne in den Kommentaren!

Wer hat den Satz noch nicht gehört: Das geht nicht, das lass mal besser sein. Entweder weil es zu aufwendig erscheint, zu gefährlich oder gar undenkbar. Mich wollen hilfsbereite Menschen häufig schon an so alltäglichen Dingen, wie die Straße zu überqueren, hindern. Nein, nicht weil da ein Auto oder ein anderes Gefährt kommt. Okay, doch, da kommt schon ein Auto oder eine Straßenbahn, irgendwann …
Nun bin ich ja aber, so wenig wie andere auch, den ganzen Tag damit beschäftigt die Straße zu überqueren. Dieses waghalsige Abenteuer ist ja nur Mittel zum Zweck. Entweder um zur Arbeit zu kommen, zum Einkaufen, zum Bahnhof oder, oder, oder.
Was, sie geht auch arbeiten, macht ihren Haushalt und füllt selbst ihren Kühlschrank … pssst, ja, sie plündert ihn auch wieder selbst; und dann auch noch verreisen? Das könnte ich nicht. Schade, ich glaube man hat im Leben immer nur zwei Möglichkeiten: entweder man lebt es oder man lässt es bleiben. Bei dieser Auswahl halte ich die erstere Alternative für die durchaus attraktivere!

Jetzt sind es ja aber nicht immer nur die Stimmen der anderen, die uns von etwas abhalten wollen. Da gibt es auch noch das Teufelchen auf unserer eigenen Schulter, dass uns gerne mal zuflüstert: Das geht nicht, das schaffst Du nicht. Lass es lieber sein!

Das Teufelchen sagt grundsätzlich: „Geht nicht!“

Als Kinder reizt uns ein Verbot. Wenn die Eltern „nein“ sagen, haben wir den starken Drang es erst recht auszuprobieren. Irgendwann werden dann die Eltern durch das Teufelchen auf unserer Schulter verdrängt. Das Teufelchen warnt aber nicht nur vor Gefahren, es sorgt auch für mehr oder weniger Bequemlichkeit in unserem Leben. Und da erscheint es dann schon durchaus reizvoller artig zu folgen.

Im Beitrag Mehr Meer oder Ostseh habe ich von meinem ersten Kurztrip alleine mit meinem Blindenführhund Lisa berichtet. Dabei habe ich auch meine Sorgen und Ängste geschildert. Genau da hatte sich nämlich das Teufelchen eingemischt: Nein, lass das mal besser. So lange Zug fahren für die wenigen Tage und dann auch noch alleine. Als blinder Mensch ist doch schon das gewohnte Umfeld Herausforderung genug.
Ich hätte mich einfach vom Teufelchen überzeugen lassen können. Dann wäre mir eine stressige Zugfahrt mit mächtig Verspätung erspart geblieben. Ich hätte Nerven und Geld gespart und … ich hätte soooo viele schöne Erfahrungen nicht gemacht. Gut, dass sich mein Dickkopf dem Teufelchen widersetzt hat und ich dem Drang nach der attraktiveren Alternative, nämlich dem Leben, Raum gegeben habe.

Lieber Teufel, Mut ist ein Muskel …

Warum aber widersetzen wir uns manchmal dem Teufelchen und warum tun es manche häufiger als andere? Ich habe hierauf keine wissenschaftlich untermauerte Antwort. Wenn ich mich jedoch mit Freunden und Bekannten unterhalte, die ich für äußerst taff halte, komme ich zu folgendem Schluss: Sie haben etwas, wofür sie brennen. Sie haben eine Leidenschaft, einen Traum, und dafür gehen sie das Risiko ein und überwinden Ängste oder Selbstzweifel. Ängste und Selbstzweifel haben nämlich, so jedenfalls meine Beobachtung, alle. Entscheidend ist nur, dass man sie überwindet. Ist der Wille stark genug und eine Leidenschaft für etwas da, scheint sich der Kampf mit dem Teufelchen zu lohnen.

Je häufiger man den Kampf mit dem Teufelchen aufnimmt, positive Erfahrungen sammelt, oder auch aus negativen Erfahrungen lernt, umso stiller wird das Teufelchen.
In meinem Fall ist es der Drang nach Selbstbestimmung, der mich hin und wieder antreibt, es mit dem Teufelchen aufzunehmen. So manchen Kampf habe ich auch schon gewonnen. In Sachen Kurztrip alleine an die Ostsee mischt es sich inzwischen erst gar nicht mehr ein. Bei neuen Reisezielen sieht es schon wieder anders aus. Wir haben da wohl noch so einige Kämpfchen auszutragen, mein Teufelchen und ich, und vermutlich wird es auch nie verstummen. Ich glaube aber das tut so ein Teufelchen nie, und vielleicht ist es auch gut, dass da so ein treuer Begleiter ist, der immer mal wieder mahnt und warnt und an dem man sich reiben kann. Aber lass es Dir gesagt sein, liebes Teufelchen: Mut ist ein Muskel, der trainiert werden kann!

Also, wenn Du Träume hast, sei es beruflich oder privat: lass Dich nicht abhalten. Gut gemeinte Ratschläge oder Ermahnungen kann man sich ja anhören und abwägen, aber geht nicht, gibt’s nicht!

Lass Dich bitte auch nicht von Fragen, Anmerkungen oder Kritik – positiv wie negativ – in den Kommentaren abhalten. Ich freue mich darauf!

Bevor Du Dir jetzt verwundert die Augen reibst, nein natürlich sehe ich nix: nulla lux, wie es ein Mediziner ausdrücken würde, oder auch einfach nüscht. Dennoch habe ich ein paar Geschichten und Gedanken hierzu aufgeschrieben; und natürlich darf bei diesem Titel das berühmte Zitat vom kleinen Prinzen nicht fehlen. Doch der Reihe nach, erst müssen wir den Frosch küssen, bevor wir an den Prinzen kommen.

Über den Sinn und Unsinn des Sehens

Keine Frage, unsere Umwelt ist stark darauf ausgerichtet, dass unser Sehsinn funktioniert. Tut er dies nicht, haben wir einen klaren Nachteil. Dies beginnt beispielsweise schon morgens. Ich freue mich auf einen Kaffee aus meiner neuen Kaffeemaschine. Ich habe schon den Geruch frisch gemahlener Kaffeebohnen in der Nase. Herrlich! Aber langsam, so schnell geht das nicht. Natürlich ist die Bedienungsanleitung nicht in Blindenschrift. Heutzutage aber alles kein Problem. Da gibt es doch das Internet. Ein, zwei Klicks und ich habe die Bedienungsanleitung gefunden. Doch dann liest mir die Sprachausgabe meines Computers vor: Bitte drücken Sie Knopf A, und welcher Knopf A ist, geht aus Abbildung 3 hervor. Bei Abbildungen steigt dann aber auch meine Sprachausgabe aus. Mist, heute Morgen also kein Kaffee. So gibt es zahlreiche Beispiele, wo man immer wieder an seine Grenzen stößt. Dennoch stelle ich mal die steile These auf, dass das Sehen hin und wieder auch überschätzt wird.

Hat mir ein netter Nachbar oder Freund die Funktion der einzelnen Knöpfchen meiner Kaffeemaschine erst einmal erklärt, bediene ich diese wie jeder andere auch. Oder wer schaut vor der ersten Tasse Kaffee am frühen Morgen tatsächlich ganz genau hin? Ebenso schauen wir beim Kochen vermutlich nicht immer so genau hin, was das Messer in unseren Händen da gerade tut. Trotzdem schneidet es die Salatgurke in Scheiben und nicht unsere Finger, und das obwohl wir vielleicht gerade ins Kochbuch, aufs Smartphone oder verträumt aus dem Fenster sehen … oder einfach auch gar nicht sehen können.

So, auch wenn das jetzt vielleicht ganz einfach klingt … die wenigsten Menschen haben das Talent dafür, blind das Messer zu schwingen. Die meisten von uns absolvieren nach Erblindung verschiedene Kurse, die dann die schönen Namen LPF oder Mobi tragen.

Hinter der Abkürzung LPF verbirgt sich das Training lebenspraktischer Fertigkeiten. Hier lernt man verschiedene Hilfsmittel und Techniken kennen, die einem den Alltag erleichtern. Also, wie gehe ich mit dem Messer um, wie unterscheide ich Kleidung, wie esse ich ein Stück Torte und so weiter und so fort. Gerne erinnere ich mich noch an mein eigenes LPF-Training. Eine Freundin meiner Trainerin bekam gerade ein Baby und da bot sich das Thema Babypflege an. Der Phantasie sind also keine Grenzen gesetzt. Je nach Bedarf kann hier alles erprobt, erlernt und vor allem auch trainiert werden, was im Leben wichtig sein kann. Wichtig ist dabei tatsächlich das Training, vor allem wenn es um Essenstechniken geht. Es kann durchaus etwas länger dauern bis man einen Eisbecher oder ein Stück Torte kleckerfrei essen kann - unter Umständen wirklich seeeehr lange. Lecker!
Gleiches gilt für Mobi, das Orientierungs- und Mobilitätstraining. Hier trainiert man, sich sicher im Straßenverkehr zu bewegen.

Zugegeben, es gibt Menschen die mögen Eis und Torte mehr, andere weniger; also ich meine natürlich es gibt geübtere und ungeübtere, ängstlichere und weniger ängstlichere Menschen. So ist es bei Sehenden wie auch bei Blinden. Wir alle haben jedoch gemein, dass wir selbst genau wissen was wir mögen und die meisten von uns mögen vermutlich gerne möglichst unabhängig sein. Aber wie geschrieben, all das lässt sich trainieren. Und so lange wir keine barrierefreie Umwelt haben, wir also auch immer mal wieder auf Hilfe zurückgreifen müssen, an dieser Stelle noch eine Bitte: nicht über den Kopf des blinden Menschen hinweg entscheiden. Hin und wieder kommt es nämlich tatsächlich vor, dass sehende Menschen glauben - jedenfalls ist das mein Gefühl -, dass sie alleine aufgrund der Tatsache, dass sie sehen können, meinen zu wissen was ich will, kann oder eben auch nicht. In der Regel ist das aber weniger unser Problem, dass wir nicht wissen was wir wollen, sondern die Umsetzung aufgrund einer nicht barrierefreien Umwelt.

Man sieht nur mit dem Herzen gut ...

So, wer bis hier durchgehalten hat, jetzt kommt er, der Prinz beziehungsweise das Zitat "Man sieht nur mit dem Herzen gut, das wesentliche ist für die Augen unsichtbar.". Gut, auf mein Problem mit der Kaffeemaschine ist dies vielleicht weniger anwendbar, aber auf den Nachbarn, Freund und den Prinzen.

Hier greife ich mal auf eine Aussage zurück, die - so glaube ich - weit verbreitet ist: blinde Menschen lassen sich nicht so stark von Oberflächlichkeiten ablenken. Zugegeben, nach meiner eigenen Erblindung fühlte ich mich zunächst ziemlich gut. Ich dachte ich zählte jetzt, genau deshalb, zu den besseren Menschen. Denn: Ich sehe was, was Du nicht siehst.

Nach über 20 Jahren Leben mit Blindheit muss ich jedoch zugeben, dass ich diesbezüglich ebenso unzulänglich bin wie wahrscheinlich die meisten. Ich urteile ebenso auf Grund von Oberflächlichkeiten. Klar, bei mir sind es keine Äußerlichkeiten, die ungewaschenen, strähnigen Haare sind mir egal, so lange man sie nicht riecht. Pickel im Gesicht und ähnliches lenken mich zunächst nicht ab. Bei mir sind es aber eben der Geruch oder die Stimme. Mag ich die Stimme, mag ich die Ausdrucksweise meines Gegenübers, dann hat er oder sie auch eher eine Chance, dass ich uns die Zeit gebe, um auch die inneren Werte kennen zu lernen.

Ich glaube aber, wir haben alle schon einmal die Erfahrung gemacht, dass wir positiv überrascht wurden, nachdem wir uns nicht von Oberflächlichkeiten haben ablenken lassen. Ganz schön schwierig, finde ich jedenfalls. Aber es kann sich lohnen, und dabei ist es egal, ob wir blind sind oder nicht.
Also, hör auf dein Herz und genieß den Wonnemonat Mai!

Über deine Kritik, Anregungen und Fragen in den Kommentaren freue ich mich.

Happy Birthday UN-Behindertenrechtskonvention (Audio)

Im März war dein Geburtstag, darum feiern wir, alle deine Freunde freuen sich mit dir. Welch ein Jubel, welch ein Trubel … okay, ganz so heiter ging es am 26. März dann doch nicht zu, selbst unter deinen Freunden nicht. Dabei wäre es so schön gewesen. Aber ich fang mal besser von vorn an.

Genau seit dem 26. März 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention geltendes Recht in Deutschland. Das heißt Deutschland hat sich mit der Unterzeichnung dieser Konvention dazu verpflichtet, sie umzusetzen. Doch was genau soll sie nun umsetzen?
Die UN-Behindertenrechtskonvention, genauer das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung, fordert die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben, kurzum: Inklusion!

Ein Grund zu feiern

Auch wenn viele mit dem Wort Inklusion auf Kriegsfuß stehen, ich finde zehn Jahre UN-Behindertenrechtskonvention sind ein Grund zu feiern. Mir stärkt sie bei meinem Streben nach Selbstbestimmung und gleichberechtigter Teilhabe den Rücken. Alleine die Tatsache, dass es dieses Übereinkommen und das Wort Inklusion gibt. Ein Wort, das ich nach eintretender Sehbehinderung vor etwa 25 Jahren schmerzlich vermisste.

Als ich mit 13 Jahren Sehbehindert wurde gab es das Wort Inklusion noch nicht, geschweige denn die gesetzliche Verankerung. Damals ging es noch um Integration. Ich habe jedoch nie verstanden weshalb ich plötzlich in eine Gesellschaft integriert werden sollte, zu der ich gestern noch selbstverständlich zählte. Über Nacht, mit eintretender Sehbehinderung sollte ich plötzlich kein Teil dieser Gesellschaft mehr sein? Verstehe ich bis heute nicht.

Viele Gründe getrübter Freude

Zugegeben, häufig stoße ich an meine Grenzen und bemerke dass es für mich mit viel Energie, Zeitaufwand, Organisationsgeschick und Einfallsreichtum verbunden ist, alltägliche Dinge zu meistern. Wenn also wieder einmal so eine Einladung in Form eines nicht barrierefreien Dokuments ins E-Mail-Postfach flattert oder Berührungsängste im Wege stehen; auch wenn in den sozialen Netzwerken oder auf Web-Seiten Fotos ohne Alternativtext hochgeladen werden, dann merke ich, dass ich irgendwie eben doch ausgeschlossen bin. Ja, und dann wäre es schön mich zu integrieren. Oder noch besser, wir achten darauf, dass Einladungen und auch sonst alle Dokumente barrierefrei gestaltet sind, wir reden einfach miteinander und versehen Fotos mit einem Alternativtext. Dann habe ich nämlich die gleichen Möglichkeiten wie all meine sehenden Zeitgenossen, und wer nicht ausgeschlossen wird, muss auch nicht wieder integriert werden. So einfach kann das sein mit der gleichberechtigten Teilhabe, der Inklusion!

Okay, das Thema Barrierefreiheit ist deutlich komplexer als in meinen wenigen Beispielen dargestellt und auch nicht immer so einfach umsetzbar. Doch jeder Schritt hin zu mehr Barrierefreiheit ist ein Schritt hin zu einer gleichberechtigten Teilhabe für alle Menschen. Jeder Schritt, und mag er noch so klein sein, bedeutet für irgendjemanden von uns mehr Möglichkeiten, mehr Chancen im täglichen Allerlei. Für die großen Veränderungen, die es zweifelsohne auch bedarf, müssen wir dann unsere Politiker in die Pflicht nehmen. Alleine ein Übereinkommen zu unterzeichnen genügt nämlich nicht. Nicht, wenn man sich weiterhin zwei Welten leistet, eine für Menschen mit und eine für Menschen ohne Behinderungen. Mit Luxus hat dies nämlich nichts zu tun, weder für das Land noch für die Menschen.

Ich bin der Überzeugung, dass Inklusion kein Geschenk für Menschen mit Beeinträchtigungen ist, sondern ein Gewinn für die gesamte Gesellschaft!
So lange wir Menschen ausschließen, verzichten wir auf Potential - im Arbeitsleben, im Ehrenamt, im täglichen Miteinander.

Wie alle meine Beiträge, ist auch dieser wieder sehr persönlich gefärbt. Ich weiß, dass ich viele Aspekte nicht berücksichtigt habe. Ich weiß, dass es viele Beispiele - positiv wie negativ - gibt, die ich hätte erwähnen können, vielleicht sogar hätte erwähnen müssen, um dem Thema gerecht zu werden. Daher möchte ich heute gerne auf zwei Web-Seiten verweisen:

Auf der Seite der Aktion Mensch erfährst Du jede Menge Wissenswertes rund um das Thema Inklusion:
https://www.aktion-mensch.de/dafuer-stehen-wir/was-ist-inklusion.html

Über die Seite der kobinet-Nachrichten gibt es täglich Aktuelles rund um das Thema Inklusion:

https://kobinet-nachrichten.org/

Tipps zu weiteren interessanten Web-Seiten oder Deine Fragen kannst Du gerne in den Kommentaren hinterlassen. Ich freue mich darauf!

Ein Hoch auf die Unvollkommenheit

Noch wenige Stunden, dann schreiben wir das Jahr 2019. Das alte Jahr ist Geschichte und wie so häufig, wenn etwas zu Ende geht, wird man ein wenig nachdenklich. Man erinnert sich an das Vergangene und auch die guten Vorsätze erfreuen sich zum Jahreswechsel großer Beliebtheit. In Sachen "gute Vorsätze" bin ich noch blutiger Anfänger, doch jetzt bin ich bereit. Ich habe meinen guten Vorsatz für 2019 gefunden.

Auslöser für diesen Beitrag war ein Besuch erst neulich in einer mittelgroßen, deutschen Stadt. Schöne Häuser, teure Geschäfte und alles sehr gepflegt - so wurde es mir beschrieben. Auch Bäume gab es - vereinzelt und eingezäunt.
Es war hübsch, ganz bestimmt sehr hübsch und dennoch machte sich in mir ein komisches, beklemmendes Gefühl breit. Mir war es zu hübsch.

Über so ein Gefühl denkt man nach, also ich denke über so ein Gefühl nach, und ich habe mit Freunden, Bekannten und natürlich mit meiner Mama darüber gesprochen. Jetzt ist dieses Gefühl mit dem Stempel Perfektionismus versehen und ich stelle mir die Frage: was ist eigentlich perfekt?

Was ist eigentlich perfekt?

Perfekt klingt irgendwie ganz positiv und nicht nach einem beklemmenden Gefühl. Perfekt klingt für mich nach einem sonnigen Tag unter einem schattigen Baum, nach Apfelkuchen und Zimteis, nach Lachen und guter Freundschaft. Gute Freunde sind aber vielleicht nicht perfekt. Sie sind so wenig wie ich frei von Mängeln, nicht vollkommen - genau so beschreibt der Duden nämlich das Wort perfekt. Auch so ein Apfelkuchen muss nicht zwingend frei von Mängeln sein um zu einem perfekten Moment beizutragen.

Okay, in meinem Beispiel war es kein Apfelkuchen. Es war ein Erdbeerkuchen. Mein Opa hatte ihn extra für mich gebacken als ich einmal zu Besuch kam. Anstatt zum Zucker griff er aber zum Salz. Nein, der Kuchen war sicher nicht perfekt, doch die Absicht dahinter war so schön, dass ich mich noch heute darüber freue.

Hin und wieder hat man auch an sich selbst merkwürdige Ansprüche. Wir streben nach Perfektionismus, wollen schöner, besser, makellos, fehlerfrei werden. So hatte ich während des Studiums und noch lange Zeit danach an mich den Anspruch Vorträge fehlerfrei abzuspulen. Ein Hänger, eine kurze Pause, ein Verhaspeln, schrecklich! Komisch, als Zuhörerin hingegen mag ich humorvoll überspielte Pannen und selbst ein verlegenes Räuspern finde ich menschlich und sympathisch. Auch Pausen, die mir als Vortragende ewig vorkommen, genieße ich als Zuhörerin. Schließlich erwarte ich mir von einem guten Vortrag auch Neuigkeiten, die ich erst einmal verarbeiten und in meinen grauen Zellen unterbringen muss.

Feiern wir die Unvollkommenheit!

Ich könnte noch viele Beispiele aufzählen, über die ich in den vergangenen Wochen und Monaten gestolpert bin, doch unterm Strich käme immer raus: gerade Mängel und Unvollkommenheit machen Menschen, Momente und Dinge für mich erst perfekt. Jedenfalls finde ich Menschen mit Ecken und Kanten spannender als makellose Damen und Herren. Ich mag eine ungemähte Wiese oder einen freistehenden Baum. Ich möchte auch mich selbst nicht eingeengt fühlen. Ich kann mich nur weiterentwickeln und entfalten, wenn ich mich ausprobiere und hierfür brauche ich Freiräume. Auch brauche ich den Raum um Fehler zu machen. Nur wer nie etwas Neues ausprobiert wird auch nie Fehler machen.

Dies ist kein Aufruf zu Nachlässigkeit oder gar Gleichgültigkeit. Ich wünsche mir einfach mehr Gelassenheit, Spontanität, Freiräume für Kreativität. Mehr Mut Umwege zu gehen um Neues zu entdecken. Doch wünschen kann man sich viel. Daher verkünde ich hiermit meinen guten Vorsatz für 2019: ich werde ein bisschen weniger perfekt!

Ein Hoch auf die Unvollkommenheit und ein wunderschönes 2019!

Solltest Du mir einen Kommentar zu diesem Beitrag, eine Frage oder eine Anregung für weitere Beiträge hinterlassen wollen, freue ich mich darüber sehr.

Wir müssen reden …

 

Es macht keinen Sinn es zu leugnen, wir nähern uns dem Ende. Bereits nachmittags ist es draußen stockdunkel - hab ich mir sagen lassen. Kalt ist es auch. Die Menschen rennen hektisch durch die Straßen und alles sieht so festlich aus. Höchste Zeit auch für mich langsam auf Betriebstemperatur zu kommen. Also, hoch die Glühweintassen und einen Wunschzettel verfassen.

 

Bild vom Weihnachtsmarkt. Es ist bereits dunkel. Hinter mir der beleuchtete Glühweinstand. Ich schaue in die Kamera, Lieschen zieht es zum Glühweinstand
Grüße vom Glühweinstand!

Mein Wunsch

Ganz oben stehen natürlich Apfel, Nuss und Mandelkern. Ist klar, denn das essen brave Kinder gern. Als braves Kind, das ich zweifelsohne bin, möchte ich mich in diesem Jahr neben all den kleinen Aufmerksamkeiten auf einen einzigen Wunsch beschränken: lass uns reden!

 

Hinter dem Wunsch: lass uns reden, steckt die simple Bitte nach Informationen. Dabei geht es mir nicht zwingend um die Weitergabe weltbewegender Neuigkeiten oder bahnbrechender Erkenntnisse. Viel einfacher … und häufig doch scheinbar sehr schwer. Um etwas deutlicher zu machen was ich meine, ein paar Geschichten, die mein Alltag schreibt.

 

Geschichten über die Stille

Wer kennt Sie nicht, die Schlange an der Kasse. Egal, ob beim Bäcker, im Supermarkt, vor der Eisdiele oder in sonst einem Geschäft. Häufig ist sie schon da, die Schlange. Das bekomme ich in der Regel dadurch mit, dass sich die Menschen unterhalten oder sonst irgendwelche Geräusche machen, indem sie mit dem Einkaufszettel rascheln, husten, das Portemonnaie aus der Tasche kramen oder, oder, oder. Nur eines höre ich meist nicht, welcher dieser Geräuschmacher genau das Ende der Schlange bildet. Also frage ich. Dann gibt es grob zwei Situationen: entweder es ist plötzlich ruhig. Dort wo gerade noch die ganzen Geräusche waren ist es jetzt plötzlich still. In dieser Situation habe ich dann die Möglichkeit das Spiel mit zu spielen und in der Annahme, dass sich tatsächlich alle in Luft aufgelöst haben einfach vor in Richtung Kasse zu gehen. Dies erfordert jedoch einen sehr selbstbewussten Tag oder jede Menge angestauten Frust über die Stille. Die bessere Alternative: man antwortet mir. Ich weiß wo das Ende der Schlange ist und bitte freundlich mir zu sagen, wenn es weitergeht. Doch auch dies ist leider in den allermeisten Fällen nicht zielführend. In der Regel sagt man mir die ersten ein oder zwei Mal, dass es weitergeht, danach herrscht wieder gepflegtes schweigen

 

Habe ich es dann, wie auch immer, in der Schlange bis nach vorn geschafft, steht erneut eine Person vor der Herausforderung mit mir zu kommunizieren: die Verkäuferin. Klappt häufig, häufig sogar auch sehr gut. Es gibt viele, die mir geduldig das gesamte Angebot darlegen oder mich auf ein neues Angebot aufmerksam machen. Doch immer wieder passiert es auch mal, dass auch Verkäuferinnen mich nur erwartungsvoll anschauen. Das merke ich in der Regel natürlich erst dann, wenn vermutlich schon quälend lange Sekunden vergangen sind, da sie sich doch ein Herz fasst und mich anspricht oder ein weiterer Kunde zur Hilfe eilt und mir sagt, dass ich nun dran bin.

 

Die Stille setzt sich im Laufe des Tages fort, und zwar bevorzugt immer dann wenn ich jemanden anspreche und um Informationen bitte. Sei es eben morgens in der Schlange, mittags oder abends, auf der Straße, an der Straßenbahnhaltestelle.

Zwar weiß ich durch eine App, wann genau meine Straßenbahn kommt bzw. kommen soll. Sicherheitshalber frage ich jedoch vor dem Einsteigen immer noch einmal nach. Ich setze also einen Fuß in die Bahn und frage laut in die Runde welche Linie dies ist. Nicht immer, aber auch nicht selten herrscht auch dann Stille. Nehme ich mir ein Herz und steige dennoch ein, da ich mir fast sicher bin, dass dies die richtige Bahn ist, kommt es nicht selten vor, dass ich kaum eingestiegen auf einen anderen Fahrgast auflaufe. Ups, die Bahn ist doch einmal wieder stiller als leer.

 

In der Regel weiß ich natürlich, dass das Schweigen von den wenigsten meiner Mitmenschen böse Absicht ist. Manchmal ist es einfach die Tageszeit. Morgens an der Haltestelle oder beim Bäcker träumt mancher vielleicht noch von seinem weichen Kopfkissen. Hin und wieder sind Unsicherheiten und Berührungsängste im Spiel und manchmal auch Gedankenlosigkeit. Neulich erst stieg eine Frau aus der Bahn in die ich einsteigen wollte. Sie lachte als ich nach der Linie fragte und meinte, jetzt bin ich zwar mit dieser Bahn gefahren, ich weiß aber gar nicht welche Linie das ist. So ist das manchmal im Alltag. Um die Geschichte zu Ende zu erzählen: sie hat kurz nachgeschaut, mir gesagt welche Linie es ist und wir haben uns lachend verabschiedet.

 

Weniger Stille, mehr Informationen!

Ich bin häufig auf Informationen angewiesen, da ich diese beispielsweise nicht über Anzeigetafeln erhalte. Ein Handzeichen oder Kopfnicken hilft mir aber auch nicht weiter. Daher mein Wunsch: lass uns reden!

Ein kleines Wort kann wirklich hilfreich sein und wenn es dazu noch freundlich ist, macht es den Tag auch ein wenig schöner. Unsicherheiten sind unnötig, denn ich bin über Informationen immer sehr dankbar und habe häufig ein Lächeln, auf jeden Fall aber immer ein Dankeschön übrig.

Umgekehrt darf man mich natürlich auch immer gerne um Informationen bitten. Zwar sind die Passanten, die mich auf der Straße um eine Wegbeschreibung bitten erst ein wenig irritiert, nachdem sie bemerkt haben, dass sie gerade eine blinde Frau gefragt haben, doch wenn ich den Weg kenne ist das ja kein Problem.

 

In diesem Sinne, ich wünsche für die Adventszeit ein wenig Ruhe für die schönen Dinge des Lebens und hin und wieder ein hilfreiches oder auch nur nettes Wort auf den Lippen!

 

Wenn Du einen Wunsch an mich und diesen Blog hast, eine Anmerkung oder Frage, dann kannst Du mich auch immer gerne darauf ansprechen oder in die Kommentare schreiben.

 

 

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Dankbarkeits-Gen führt zu Blindheit, Querschnittslähmung oder Depressionen!

Liebe Leser, ja ich habe ein neues Gen entdeckt. Diese Entdeckung wird unser aller Leben massiv verändern. So oder so ähnlich könnte ich einen Beitrag für eine große deutsche Zeitung mit dicken Druckbuchstaben beginnen. Sensation!

Im Ernst, ich möchte heute mit einem weit verbreiteten Vorurteil aufräumen. Vielleicht nicht sehr clever von mir, denn dies ist mal ein Vorurteil, von dem wir Menschen mit Beeinträchtigungen tatsächlich profitieren könnten. Jedenfalls kommen wir dabei nicht schlecht weg.

 

Immer wenn es um das Thema Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt geht, kommt früher oder später der Satz: Menschen mit Beeinträchtigungen sind sehr dankbare und überaus loyale Mitarbeiter.

 

Was stört mich an dieser Aussage?

So wenig hilfreich es ist, die Beeinträchtigung und nicht die Fähigkeiten in den Vordergrund zu stellen oder Menschen mit Beeinträchtigungen zu unterstellen, sie wären häufiger krank als nicht beeinträchtigte Mitarbeiter, so wenig ist uns damit geholfen, wenn man uns pauschal als überaus dankbar und loyal anpreist.

Gehen wir davon aus, dass Menschen mit und ohne Beeinträchtigung in erster Linie Menschen sind, dann gibt es keinen nachvollziehbaren Grund dafür, weshalb Menschen mit Beeinträchtigungen von Natur aus dankbarer oder loyaler sein sollten.

Noch verrückter wird der Gedanke, wenn man sich einmal vor Augen hält, dass die wenigsten Menschen mit einer Beeinträchtigung geboren werden. Also, Menschen mit einer Beeinträchtigung waren, wie auch ich, häufig erst einmal Menschen ohne Beeinträchtigung. Wenn dieser Zusammenhang zwischen Dankbarkeit, Loyalität und Beeinträchtigung aber tatsächlich besteht, muss daraus gefolgert werden, dass dankbare und loyale Menschen ein weitaus höheres Risiko haben im Laufe ihres Lebens eine Beeinträchtigung zu bekommen. Eine bahnbrechende Erkenntnis, die sich jeder von uns ganz einfach zu Nutze machen könnte: Gehen wir ab sofort undankbar und illoyal durchs Leben, dann ist dies womöglich der bisher beste Schutz vor Blindheit, Querschnittslähmung, Depressionen und weiteren Beeinträchtigungen.

Warum sind Menschen mit Beeinträchtigungen dennoch häufig dankbarer und loyaler?

Werden Menschen mit Beeinträchtigungen dennoch als dankbarer und loyaler wahrgenommen, dann lässt dies aus meiner Sicht nur eine traurige Schlussfolgerung zu: Menschen mit Beeinträchtigungen haben weitaus weniger Wahlmöglichkeiten, wenn überhaupt Wahlmöglichkeiten bestehen, und diese Abhängigkeit führt schließlich zu dieser Wahrnehmung der überaus dankbaren und loyalen blinden Rollstuhlfahrer.

Also, gibt es nun diesen einen Arbeitgeber, der uns eine Chance gibt, dann sind wir natürlich dankbar, schließlich haben wir auch viel Energie in unsere Ausbildung gesteckt, auch wir wollen gebraucht werden und unsere Urlaubsreisen finanzieren. Wir wollen diese Chance auf Teilhabe am Arbeitsmarkt, und wenn wir sie bekommen, dann wären wir doch nicht nur blind oder taub, sondern auch noch ziemlich dämlich, wenn wir uns diese durch Illoyalität kaputt machen würden. Wobei ich jetzt auch nicht sagen möchte, dass es nur clevere Menschen mit Beeinträchtigung gibt. Hilfe, bitte nun kein neues Vorurteil zu unseren Gunsten!

 

Solltest Du wissenschaftliche Erkenntnisse bezüglich des Dankbarkeits-Gens kennen, freue ich mich über einen entsprechenden Quellenhinweis in den Kommentaren.

Was haben (blinde) Menschen und Äpfel gemein?

 

Eine kleine Geschichte über die Inklusions-Äpfelchen und warum Barrierefreiheit so wichtig ist, ohne das Wort Inklusion oder Barrierefreiheit zu erwähnen.

Vieles was ich hier in diesem Blog schreibe, entspricht meiner ganz eigenen Sicht auf die Dinge. Ich berichte von meinen Ansichten und Erfahrungen und diese sind natürlich geprägt durch individuelle Voraussetzungen, Herangehensweisen oder Umstände.

Mit meinen Beiträgen möchte ich also lediglich einen Einblick in mein Leben geben. So läuft es bei mir, und manchmal läuft es eben auch nicht. Bei anderen blinden Menschen kann es ganz anders aussehen. Ist ja auch klar, denn in erster Linie sind wir alle Menschen und damit jeder von uns einzigartig!

Was hat das nun mit Äpfeln zu tun?

Auch Äpfel sind sehr vielfältig. Sie unterscheiden sich in ihrer Größe, Form, ihrer Farbe und im Geschmack. Kennt man einen, kennt man noch lange nicht alle, selbst von der gleichen Sorte nicht.

Ich wurde bereits als kleines Äpfelchen gut gehegt und gepflegt. Mit meinen roten Bäckchen hing ich an einem kräftigen Baum mit tiefen Wurzeln. Dies gab mir immer die Sicherheit mich ausprobieren zu können.

Mit 13 Jahren bekam meine glänzende Oberfläche die erste Delle. Ein drastischer Sehverlust, ein Makel! So dachte ich zunächst, und auch für meine Eltern war es nicht einfach. Doch auch wenn der Ast an dem ich hing sich etwas in Richtung Boden neigte, versorgten mich die Wurzeln weiterhin gut mit Nährstoffen. Mein Vater setzte mich auf sein Moped und strampelte auf seinem Fahrrad vor mir her, sodass ich mich an ihm orientieren konnte. Er gab mir Fahrstunden in unserer Familienkutsche und meine Mutter packte die Koffer. Nein, sie hat nicht das Weite gesucht - zumindest nicht alleine. Seit dem Eintritt meiner Sehbehinderung sind wir beide einmal jährlich für ein verlängertes Wochenende verreist. So konnte ich mich und das Leben mit Sehbehinderung weiterhin ausprobieren, neue Erfahrungen sammeln und neue Wege finden.

Auch im späteren Leben traf ich immer wieder auf Lehrer und Vorgesetzte, die mich darin bestärkt haben, mich auszuprobieren, ich selbst zu sein und die Blindheit nicht als Makel zu sehen. "Es ist keine Schwäche, dass Du nichts siehst, sondern eine Leistung" - so oder so ähnlich drückte es einmal ein Vorgesetzter aus. Dies anzunehmen fiel mir zunächst etwas schwer, doch er ergänzte: "Dies gilt ebenso für die Kollegen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Neben ihrer Arbeit am Institut sehen sie sich zusätzlich der Herausforderung gegenüber ihren Alltag in einer fremden Kultur und einer fremden Sprache zu meistern, und das ist eine Leistung."

Um noch einmal auf die Äpfelchen zurückzukommen: Alle Äpfelchen, die als wohlschmeckender Apfel heranwachsen sollen, brauchen eine gute Pflege und beste Voraussetzungen. Das heißt der Baum selbst, also das unmittelbare Umfeld sollte stark und gesund sein, aber auch die Umweltbedingungen spielen eine große Rolle. Eine Windböe kann einem kräftigen und gesunden Baum nicht viel anhaben, und eine Delle vermindert den Geschmack noch lange nicht. Doch eine große Dürre oder ein Wirbelsturm haben schwere Folgen - nicht nur für das zu Schaden gekommene Äpfelchen. Auch alle anderen werden nie erfahren, wie wohlschmeckend dieses zu klein geratene, runzlige oder fleckige Äpfelchen ist, und wieviel Freude es uns in Form von Apfelsaft, Apfelkuchen oder Apfelmus bereiten kann.

Hast Du Appetit auf mehr Gedanken oder Erlebnisse von mir bekommen, dann freue ich mich über Kritik und Wünsche für weitere Beiträge in den Kommentaren!