"Wer, wie, was, wieso, weshalb, warum, wer nicht fragt, bleibt dumm!" Genau das ist auch der Grund, weshalb ich immer artig antworte, wenn mich wieder einmal jemand an der Straßenbahnhaltestelle, beim Gassi gehen oder sonst irgendwo anspricht und mich über mein Leben ausfragt. Nun möchte ich mir nicht anmaßen, all diejenigen als dumm zu bezeichnen, die das Leben mit Blindheit nicht kennen. Eine gewisse Unwissenheit ist ja aber nicht von der Hand zu weisen.
Woher soll man als Otto oder Ottilie Normalverbraucher aber auch wissen, wie das Leben ohne Augenlicht so ist. Als ich mit 13 Jahren sehbehindert wurde, hatte ich auch keine Vorstellung davon. Ich kannte außer meiner Uroma und meinem Opa keine blinden oder sehbehinderten Menschen. Sie wachsen ja nicht auf den Bäumen, und auch im Kindergarten oder in der Schule bin ich keinem blinden Kind begegnet. Das mag sich inzwischen ein wenig, ein ganz kleinwenig gewandelt haben, und doch gibt es täglich die Situation, dass ich Blicke auf mich ziehe, Kinder fragen, was denn mit der Frau sei oder ich eben auch direkt angesprochen werde.
Wieso, weshalb, warum?
Keine Frage, ich bin anders … und doch wieder nicht; und an manchen Tagen würde ich mir wünschen, auch einfach nur mal ganz normal zu sein. Aber was ist schon normal? Ich habe zwei Arme, zwei Beine und die Nase mitten im Gesicht. Im Gegensatz zu Frühaufstehern breche ich nicht jeden Morgen in Jubel aus, wenn mich der Wecker aus meinen Träumen reißt; und ich mag Schokolade … und doch steht häufig eben dieses kleine Detail zwischen mir und all den Langschläfern und Schoko-Junkies. Damit entstehen dann auch immer wieder diese Fragen: woher weißt Du wie spät es ist, welche Schokolade Du gerade aus dem Monatsvorrat erwischt hast …?
Vieles in meinem Leben ist gar nicht so spektakulär anders. Manches mache ich eben nur etwas anders und für vieles gibt es Hilfsmittel oder ich habe so meine Tricks. Hin und wieder muss ich auch um Hilfe bitten. Während du also auf deine Uhr schaust, habe ich eine taktile Armbanduhr oder einen sprechenden Wecker. Meist greife ich aber auf meinen ständigen Begleiter zurück, das iPhone. Dank der Sprachausgabe VoiceOver kann ich mir die Uhrzeit ansagen lassen oder die Wecker-App bedienen; und über verschiedene Apps kann ich den Barcode der Schokolade einscannen, um mir dann die entsprechenden Informationen ansagen zu lassen. Wenn allerdings ein neuer Monatsvorrat fällig wird, bitte ich im Supermarkt eine freundliche Verkäuferin um Hilfe. Bis ich nämlich alle Regale durch bin und jedes Produkt einmal in der Hand hatte, ist vermutlich der Monat auch schon wieder um.
Wer nicht fragt, bleibt dumm!?
Ich glaube es ist wichtig, auf all diese Fragen einzugehen; und meine Erfahrung zeigt: je mehr Unwissenheiten abgebaut werden, desto mehr kann ich als Person in den Vordergrund rücken. Daher gehe ich beispielsweise auch als Vorlesepatin in Kindergärten und Grundschulen. Neben einer Geschichte habe ich dann auch immer Zeit für Fragen im Gepäck; und wenn ein kleines Mädchen fragt, wie ich das auf dem Klo mache, beantworte ich auch das.
Leider stoße ich hin und wieder auch an Grenzen. Erst vor wenigen Tagen wurde ich mal wieder auf der Straße gefragt, wie ich mit der Blindheit zurechtkomme. Harter Einstieg in ein Gespräch, wenn man jemanden überhaupt nicht kennt. Schwamm drüber. Wir unterhielten uns einige Minuten und ich versicherte, dass ich ganz gut zurechtkomme. Lieschen, mein Blindenführhund, wedelte auch begeistert mit dem Schwanz. Das Gespräch endete dennoch damit, dass man ein Gebet für mich sprach und darum bat, dass ich wieder sehen kann. Ich bete eigentlich nicht. An diesem Abend habe ich jedoch ebenfalls ein Gebet gesprochen und zwar für weniger Engstirnigkeit, mehr Vielfalt und Toleranz.
Also, bleib neugierig und wenn Du Fragen an mich hast, kannst Du mir diese gerne in den Kommentaren hinterlassen. Denn wir wissen ja alle noch aus der Sesamstraße: "1000 tolle Sachen, die gibt es überall zu sehen. Manchmal muss man fragen, um sie zu verstehen."