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… und wer eine Reise macht, der hat was zu erzählen. Klar, es ist aufregend Grenzen zu überwinden. Finnland war sooo schön … und wenige Wochen nach Finnland, vielleicht gerade jetzt, während Du diesen Beitrag liest, bin ich schon wieder verreist. Dieses Mal nach Irland. Was für ein Sommer! Doch wenn Du glaubst, das war schon der Knüller, dann halte Dich jetzt fest: im Grunde reise ich nämlich täglich. Wow, was für ein Leben!

Wenn also ein Merkmal des Reisens das Überwinden von Grenzen ist, dann reise ich tatsächlich täglich. In diesem Kontext nennen wir die Grenzen dann in der Regel aber Barrieren.

Reisefreiheit oder Grenzkontrollen

Also gut, genug Vorgeplänkel. Ich nehme Dich mal mit auf meine täglichen Reisen. Aber Vorsicht, Du solltest sorgfältig packen und gut auf dein Gepäck aufpassen. Bereits der Verlust von Kleinigkeiten kann dazu führen, dass Du durch die strengen Grenzkontrollen massiv an deiner Reisefreiheit gehindert wirst. Na gut, nennen wir es beim Namen: behindert wirst. Du glaubst mir nicht?

Stell Dir vor, wir stehen an einer komplizierten Kreuzung an der Ampel und diese Ampel gibt kein Tonsignal von sich. So, und jetzt hast Du dein Augenlicht vergessen, dieses kleine, leicht übersehbare Detail. Was dann? Dann haben wir es nicht einfach nur mit einer Grenze zu tun, sondern mit knallharten Grenzkontrollen. Das Ampelmännchen signalisiert nämlich nur denjenigen, dass sie sicher auf die andere Seite können, die beim Packen auch wirklich an alles gedacht haben. Unterm Strich heißt das: Pech gehabt oder wenn in der Seitentasche des Handgepäcks noch ein Quäntchen Mut steckt, dann raus damit und illegal rüber. Ich hab ja nie behauptet, dass es nicht aufregend sei, so eine Grenze zu überwinden.

Du glaubst, das kann Dir nicht passieren? Du vergisst dein Augenlicht sicher nie? Dann pass mal auf, was passiert, wenn Du etwas Falsches im Handgepäck hast. Ich denke da an einen Rollator oder Kinderwagen.
Nein, dann musst Du die Grenzkontrollen tatsächlich nicht fürchten. Du hast alles Wesentliche dabei … nur eben zu viel. Das heißt, rein theoretisch darfst Du mit Rollator oder Kinderwagen sicher auf die andere Seite. Rein theoretisch. Praktisch kommst Du mit deinem Übergepäck aber nicht weiter. Der Bürgersteig ist einfach zu hoch oder der Zugang zum Ampelübergang zu schmal, weil vollgeparkt. Aber tröste Dich, Du hast dein Augenlicht dabei und kannst zumindest mal rüber linsen.

Puh, langsam wird die gemeinsame Reise etwas anstrengend. Der eine hat dies vergessen, der andere das. Einmal ist es das Augenlicht, einmal der Sonnenschein im Herzen. Wieder andere schleppen viel zu viel Gepäck mit sich herum und können einen Bürgersteig oder eine Treppe nicht überwinden.

Gute Reise!

Wir machen uns jetzt mal getrennt auf die Socken. Ich reise weiter durch die Welt und meinen Alltag. Währenddessen lass ich Dir die folgende Zeichnung hier. Wenn Du möchtest, kannst Du gedanklich auch deinen Koffer packen und diese Straße bereisen. Stößt Du auf Grenzen?
Anders gefragt: In der folgenden Zeichnung sind zehn Alltagsbarrieren versteckt. Findest Du Sie?

Gerne kannst Du die Barrieren, die Du findest, in die Kommentare schreiben. Vielleicht finden wir ja auch gemeinsam Wege, sie zu überwinden.

Ein dickes Sorry an all diejenigen, die die Zeichnung nicht sehen können. Eine Bildbeschreibung würde jedoch eine Auflösung beinhalten ... vielleicht habe ich hier aber auch gerade eine Barriere in meinem Kopf. Wie auch immer, ich verspreche: eine Bildbeschreibung und natürlich die Auflösung gibt es nach meiner Irlandreise Ende September. Bis dahin noch einen schönen Sommer!

Bevor Du Dir jetzt verwundert die Augen reibst, nein natürlich sehe ich nix: nulla lux, wie es ein Mediziner ausdrücken würde, oder auch einfach nüscht. Dennoch habe ich ein paar Geschichten und Gedanken hierzu aufgeschrieben; und natürlich darf bei diesem Titel das berühmte Zitat vom kleinen Prinzen nicht fehlen. Doch der Reihe nach, erst müssen wir den Frosch küssen, bevor wir an den Prinzen kommen.

Über den Sinn und Unsinn des Sehens

Keine Frage, unsere Umwelt ist stark darauf ausgerichtet, dass unser Sehsinn funktioniert. Tut er dies nicht, haben wir einen klaren Nachteil. Dies beginnt beispielsweise schon morgens. Ich freue mich auf einen Kaffee aus meiner neuen Kaffeemaschine. Ich habe schon den Geruch frisch gemahlener Kaffeebohnen in der Nase. Herrlich! Aber langsam, so schnell geht das nicht. Natürlich ist die Bedienungsanleitung nicht in Blindenschrift. Heutzutage aber alles kein Problem. Da gibt es doch das Internet. Ein, zwei Klicks und ich habe die Bedienungsanleitung gefunden. Doch dann liest mir die Sprachausgabe meines Computers vor: Bitte drücken Sie Knopf A, und welcher Knopf A ist, geht aus Abbildung 3 hervor. Bei Abbildungen steigt dann aber auch meine Sprachausgabe aus. Mist, heute Morgen also kein Kaffee. So gibt es zahlreiche Beispiele, wo man immer wieder an seine Grenzen stößt. Dennoch stelle ich mal die steile These auf, dass das Sehen hin und wieder auch überschätzt wird.

Hat mir ein netter Nachbar oder Freund die Funktion der einzelnen Knöpfchen meiner Kaffeemaschine erst einmal erklärt, bediene ich diese wie jeder andere auch. Oder wer schaut vor der ersten Tasse Kaffee am frühen Morgen tatsächlich ganz genau hin? Ebenso schauen wir beim Kochen vermutlich nicht immer so genau hin, was das Messer in unseren Händen da gerade tut. Trotzdem schneidet es die Salatgurke in Scheiben und nicht unsere Finger, und das obwohl wir vielleicht gerade ins Kochbuch, aufs Smartphone oder verträumt aus dem Fenster sehen … oder einfach auch gar nicht sehen können.

So, auch wenn das jetzt vielleicht ganz einfach klingt … die wenigsten Menschen haben das Talent dafür, blind das Messer zu schwingen. Die meisten von uns absolvieren nach Erblindung verschiedene Kurse, die dann die schönen Namen LPF oder Mobi tragen.

Hinter der Abkürzung LPF verbirgt sich das Training lebenspraktischer Fertigkeiten. Hier lernt man verschiedene Hilfsmittel und Techniken kennen, die einem den Alltag erleichtern. Also, wie gehe ich mit dem Messer um, wie unterscheide ich Kleidung, wie esse ich ein Stück Torte und so weiter und so fort. Gerne erinnere ich mich noch an mein eigenes LPF-Training. Eine Freundin meiner Trainerin bekam gerade ein Baby und da bot sich das Thema Babypflege an. Der Phantasie sind also keine Grenzen gesetzt. Je nach Bedarf kann hier alles erprobt, erlernt und vor allem auch trainiert werden, was im Leben wichtig sein kann. Wichtig ist dabei tatsächlich das Training, vor allem wenn es um Essenstechniken geht. Es kann durchaus etwas länger dauern bis man einen Eisbecher oder ein Stück Torte kleckerfrei essen kann - unter Umständen wirklich seeeehr lange. Lecker!
Gleiches gilt für Mobi, das Orientierungs- und Mobilitätstraining. Hier trainiert man, sich sicher im Straßenverkehr zu bewegen.

Zugegeben, es gibt Menschen die mögen Eis und Torte mehr, andere weniger; also ich meine natürlich es gibt geübtere und ungeübtere, ängstlichere und weniger ängstlichere Menschen. So ist es bei Sehenden wie auch bei Blinden. Wir alle haben jedoch gemein, dass wir selbst genau wissen was wir mögen und die meisten von uns mögen vermutlich gerne möglichst unabhängig sein. Aber wie geschrieben, all das lässt sich trainieren. Und so lange wir keine barrierefreie Umwelt haben, wir also auch immer mal wieder auf Hilfe zurückgreifen müssen, an dieser Stelle noch eine Bitte: nicht über den Kopf des blinden Menschen hinweg entscheiden. Hin und wieder kommt es nämlich tatsächlich vor, dass sehende Menschen glauben - jedenfalls ist das mein Gefühl -, dass sie alleine aufgrund der Tatsache, dass sie sehen können, meinen zu wissen was ich will, kann oder eben auch nicht. In der Regel ist das aber weniger unser Problem, dass wir nicht wissen was wir wollen, sondern die Umsetzung aufgrund einer nicht barrierefreien Umwelt.

Man sieht nur mit dem Herzen gut ...

So, wer bis hier durchgehalten hat, jetzt kommt er, der Prinz beziehungsweise das Zitat "Man sieht nur mit dem Herzen gut, das wesentliche ist für die Augen unsichtbar.". Gut, auf mein Problem mit der Kaffeemaschine ist dies vielleicht weniger anwendbar, aber auf den Nachbarn, Freund und den Prinzen.

Hier greife ich mal auf eine Aussage zurück, die - so glaube ich - weit verbreitet ist: blinde Menschen lassen sich nicht so stark von Oberflächlichkeiten ablenken. Zugegeben, nach meiner eigenen Erblindung fühlte ich mich zunächst ziemlich gut. Ich dachte ich zählte jetzt, genau deshalb, zu den besseren Menschen. Denn: Ich sehe was, was Du nicht siehst.

Nach über 20 Jahren Leben mit Blindheit muss ich jedoch zugeben, dass ich diesbezüglich ebenso unzulänglich bin wie wahrscheinlich die meisten. Ich urteile ebenso auf Grund von Oberflächlichkeiten. Klar, bei mir sind es keine Äußerlichkeiten, die ungewaschenen, strähnigen Haare sind mir egal, so lange man sie nicht riecht. Pickel im Gesicht und ähnliches lenken mich zunächst nicht ab. Bei mir sind es aber eben der Geruch oder die Stimme. Mag ich die Stimme, mag ich die Ausdrucksweise meines Gegenübers, dann hat er oder sie auch eher eine Chance, dass ich uns die Zeit gebe, um auch die inneren Werte kennen zu lernen.

Ich glaube aber, wir haben alle schon einmal die Erfahrung gemacht, dass wir positiv überrascht wurden, nachdem wir uns nicht von Oberflächlichkeiten haben ablenken lassen. Ganz schön schwierig, finde ich jedenfalls. Aber es kann sich lohnen, und dabei ist es egal, ob wir blind sind oder nicht.
Also, hör auf dein Herz und genieß den Wonnemonat Mai!

Über deine Kritik, Anregungen und Fragen in den Kommentaren freue ich mich.

Happy Birthday UN-Behindertenrechtskonvention (Audio)

Im März war dein Geburtstag, darum feiern wir, alle deine Freunde freuen sich mit dir. Welch ein Jubel, welch ein Trubel … okay, ganz so heiter ging es am 26. März dann doch nicht zu, selbst unter deinen Freunden nicht. Dabei wäre es so schön gewesen. Aber ich fang mal besser von vorn an.

Genau seit dem 26. März 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention geltendes Recht in Deutschland. Das heißt Deutschland hat sich mit der Unterzeichnung dieser Konvention dazu verpflichtet, sie umzusetzen. Doch was genau soll sie nun umsetzen?
Die UN-Behindertenrechtskonvention, genauer das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung, fordert die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben, kurzum: Inklusion!

Ein Grund zu feiern

Auch wenn viele mit dem Wort Inklusion auf Kriegsfuß stehen, ich finde zehn Jahre UN-Behindertenrechtskonvention sind ein Grund zu feiern. Mir stärkt sie bei meinem Streben nach Selbstbestimmung und gleichberechtigter Teilhabe den Rücken. Alleine die Tatsache, dass es dieses Übereinkommen und das Wort Inklusion gibt. Ein Wort, das ich nach eintretender Sehbehinderung vor etwa 25 Jahren schmerzlich vermisste.

Als ich mit 13 Jahren Sehbehindert wurde gab es das Wort Inklusion noch nicht, geschweige denn die gesetzliche Verankerung. Damals ging es noch um Integration. Ich habe jedoch nie verstanden weshalb ich plötzlich in eine Gesellschaft integriert werden sollte, zu der ich gestern noch selbstverständlich zählte. Über Nacht, mit eintretender Sehbehinderung sollte ich plötzlich kein Teil dieser Gesellschaft mehr sein? Verstehe ich bis heute nicht.

Viele Gründe getrübter Freude

Zugegeben, häufig stoße ich an meine Grenzen und bemerke dass es für mich mit viel Energie, Zeitaufwand, Organisationsgeschick und Einfallsreichtum verbunden ist, alltägliche Dinge zu meistern. Wenn also wieder einmal so eine Einladung in Form eines nicht barrierefreien Dokuments ins E-Mail-Postfach flattert oder Berührungsängste im Wege stehen; auch wenn in den sozialen Netzwerken oder auf Web-Seiten Fotos ohne Alternativtext hochgeladen werden, dann merke ich, dass ich irgendwie eben doch ausgeschlossen bin. Ja, und dann wäre es schön mich zu integrieren. Oder noch besser, wir achten darauf, dass Einladungen und auch sonst alle Dokumente barrierefrei gestaltet sind, wir reden einfach miteinander und versehen Fotos mit einem Alternativtext. Dann habe ich nämlich die gleichen Möglichkeiten wie all meine sehenden Zeitgenossen, und wer nicht ausgeschlossen wird, muss auch nicht wieder integriert werden. So einfach kann das sein mit der gleichberechtigten Teilhabe, der Inklusion!

Okay, das Thema Barrierefreiheit ist deutlich komplexer als in meinen wenigen Beispielen dargestellt und auch nicht immer so einfach umsetzbar. Doch jeder Schritt hin zu mehr Barrierefreiheit ist ein Schritt hin zu einer gleichberechtigten Teilhabe für alle Menschen. Jeder Schritt, und mag er noch so klein sein, bedeutet für irgendjemanden von uns mehr Möglichkeiten, mehr Chancen im täglichen Allerlei. Für die großen Veränderungen, die es zweifelsohne auch bedarf, müssen wir dann unsere Politiker in die Pflicht nehmen. Alleine ein Übereinkommen zu unterzeichnen genügt nämlich nicht. Nicht, wenn man sich weiterhin zwei Welten leistet, eine für Menschen mit und eine für Menschen ohne Behinderungen. Mit Luxus hat dies nämlich nichts zu tun, weder für das Land noch für die Menschen.

Ich bin der Überzeugung, dass Inklusion kein Geschenk für Menschen mit Beeinträchtigungen ist, sondern ein Gewinn für die gesamte Gesellschaft!
So lange wir Menschen ausschließen, verzichten wir auf Potential - im Arbeitsleben, im Ehrenamt, im täglichen Miteinander.

Wie alle meine Beiträge, ist auch dieser wieder sehr persönlich gefärbt. Ich weiß, dass ich viele Aspekte nicht berücksichtigt habe. Ich weiß, dass es viele Beispiele - positiv wie negativ - gibt, die ich hätte erwähnen können, vielleicht sogar hätte erwähnen müssen, um dem Thema gerecht zu werden. Daher möchte ich heute gerne auf zwei Web-Seiten verweisen:

Auf der Seite der Aktion Mensch erfährst Du jede Menge Wissenswertes rund um das Thema Inklusion:
https://www.aktion-mensch.de/dafuer-stehen-wir/was-ist-inklusion.html

Über die Seite der kobinet-Nachrichten gibt es täglich Aktuelles rund um das Thema Inklusion:

https://kobinet-nachrichten.org/

Tipps zu weiteren interessanten Web-Seiten oder Deine Fragen kannst Du gerne in den Kommentaren hinterlassen. Ich freue mich darauf!

 Freiheit, Spontanität und Datenschutz

 

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche, und es ist noch nicht einmal Frühling. Es ist Ende Februar und während ich diesen Beitrag schreibe, sitze ich im Café, nein ich sitze vor dem Café und genieße strahlenden Sonnenschein. Ob das mit den knapp 20° Celsius nun gut oder richtig ist, so Ende Februar, das sei mal dahingestellt. Schön ist es aber schon!

 

Gefühl von Freiheit

Ja, es ist schön, so mit offener Jacke in der Sonne zu sitzen und sich den warmen Wind um die Nase wehen zu lassen. Das alleine ist es jedoch nicht, was bei mir das Gefühl von Freiheit hervorruft. Vielmehr ist es die Tatsache, dass ich meinem Bedürfnis danach in der Sonne zu sitzen so spontan nachgehen konnte - und das ist nicht selbstverständlich. Abgesehen davon, dass auch ich an verschiedene Termine und Verpflichtungen gebunden bin und mich deshalb nicht immer rund um die Uhr nach Belieben in der Sonne, im Café oder Park herumtreiben kann; Spontanität und Blindheit kriegt man nicht immer so einfach unter einen Hut.

Klar, in meinem gewohnten Umfeld bewege ich mich weitestgehend selbstständig. Als ich vor knapp zwölf Jahren nach Halle zog, absolvierte ich ein sogenanntes Orientierungs- und Mobilitätstraining. Dabei habe ich die für mich wichtigsten Wege gelernt - wo genau befindet sich das Café, der Bäcker, die Straßenbahnhaltestelle und woran kann ich mich auf dem Weg dorthin orientieren. In den Folgejahren kamen immer neue Wege hinzu und so wurde mein Halle immer größer, wenngleich es noch immer verhältnismäßig klein ist. Hin und wieder kann es sogar passieren, dass mein Halle auch wieder in sich zusammenschrumpft. Beispielsweise wenn mal wieder eine Baustelle den Weg versperrt und ich nicht hindurch oder darum herum finde. Dann können sich meine Stadtgrenzen ganz schnell auch wieder verschieben. Glücklicherweise habe ich meinen Blindenführhund Lisa. Sie findet Wege, die mir früher mit dem Blindenstock verborgen blieben.

Das Gefühl von Freiheit, die Mobilität, die es mir ermöglicht spontan ein Café aufzusuchen oder einen Spaziergang in der Sonne zu machen, habe ich ganz sicher meinem Lieschen zu verdanken. Lieschen in Kombination mit einer speziell für blinde Menschen entwickelte Navigations-App ist insbesondere in mir fremden Umgebungen noch besser als das Gefühl von Sonne auf der Haut. Freiheit!

Die Blindheit lässt sich jedoch nicht wegdiskutieren. Natürlich stoße ich auch hin und wieder an meine Grenzen. Glücklicherweise gibt es für solche Situationen inzwischen einige tolle Angebote. So bieten beispielsweise verschiedene Verkehrsunternehmen einen Begleitservice an, häufig sogar von Tür zu Tür. Nicht nur mobilitätseingeschränkte Menschen, auch Kinder können so sicher zu einem Wunschort begleitet werden. Diese Hilfeleistung muss natürlich angemeldet werden, am besten einige Tage im Voraus. Gut, das ist dann nicht sehr spontan, aber hilfreich allemal.

 

Grenzen der Freiheit

… und so kann es dann laufen. Erst vergangenes Wochenende war ich in einer mir fremden Stadt zu Besuch und hatte einen Tagesausflug in der Umgebung geplant. Einziger Knackpunkt stellte der Umstieg an einer U-Bahnstation dar. Zwar würde ich mich nicht als sehr ängstlich beschreiben, doch sobald Gleise in der Nähe sind bin ich nicht mehr ganz so entspannt. Hinzu kommt, dass ich als Kleinstadtpflanze - sorry Halle - mit der U-Bahn nicht sehr vertraut bin. Also habe ich mir im Internet die Telefonnummer des Begleitservices der Verkehrsgesellschaft in eben dieser Stadt rausgesucht. Mit bedauern erklärte mir der nette Man am anderen Ende des Telefons, dass ich zunächst ein Formular ausfüllen müsste. Sie müssten ja Daten von mir speichern - Datenschutz! Dieses Formular muss per Post zur Verkehrsgesellschaft geschickt werden und erst dann, nach etwa zwei Wochen, kann ich eine Hilfeleistung anmelden. Zwar weiß ich nach über zwanzig Jahren Blindheit, dass viele Unternehmungen mit etwas vorausschauender Organisation verbunden sind, so lange im Voraus habe ich dann aber doch nicht geplant. Also umplanen, Umweg über den Hauptbahnhof und dank Umsteigehilfe durch die Bahnhofsmission hat dann doch noch alles geklappt - und meine Daten sind auch geschützt!

 

Auch bei der Deutschen Bahn sind Leistungen des Mobilitätsservices zum 01. Februar wieder unter einer dicken Eisschicht verschwunden. Hilfeleistungen beim Ein-, Aus- und Umstieg werden hier künftig auch wieder abenteuerlicher, und das alles während wir 10 Jahre UN-Behindertenrechtskonvention feiern - Inklusion, Teilhabe und Selbstbestimmung. Happy Birthday Gefühl der Freiheit!

 

Hast Du noch Fragen, Kritik oder Anregungen zu diesem Beitrag? Über einen Austausch freue ich mich sehr!

 

 

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Ein Bild sagt mehr als tausend Worte!?

 

Verschwitzte, durchtrainierte Männerkörper - genau das interessiert mich, interessiert mich nicht, interessiert mich. Welche Bilder ich nun auch immer erzeugt haben mag - nein, das interessiert mich wirklich nicht, jedenfalls nicht beim Handball oder Fußball. Das Spiel hingegen interessiert mich schon. Ich mag den Kampf ums nächste Tor, die Atmosphäre in der Arena und auch zuhause fiebere ich mit, wenn es um Punkte, die Europa- oder gar Weltmeisterschaft geht. So habe ich auch in diesem Monat mit den Herren der deutschen Nationalmannschaft bei der Handball WM mitgefiebert. Dank der akustischen Bildbeschreibung oder auch Live-Audiodeskription ein echtes Erlebnis!

 

Die Stimme aus dem Nichts

Wer schon einmal ausversehen über die Fernbedienung des Fernsehers den Tonkanal gewechselt hat, weiß worüber ich hier schreibe. Dem ist sie nämlich schon begegnet, die Stimme aus dem Nichts. Man nennt dies auch akustische Bildbeschreibung oder Audiodeskription.

Immer mehr Filme werden inzwischen mit Audiodeskription gesendet. Nicht nur im Fernsehen, auch im Kino kann man über eine App auf dem Smartphone immer häufiger der akustischen Bildbeschreibung lauschen.

Zugegeben, bei Filmen verzichte ich gerne auf die Audiodeskription. Ich finde, dass auch durch Schweigen oder alleine die Hintergrundgeräusche viel vermittelt wird. Mir persönlich geht durch die Stimme aus dem Nichts ein wenig die Atmosphäre des Films verloren. Dies ist jedoch mein ganz eigenes Empfinden und ich nehme damit bewusst in Kauf, dass mir das ein oder andere im Film auch entgeht. Bei Sportübertragungen oder in der Arena selbst bin ich hingegen ein großer Fan von Live-Audiodeskription.

 

Spannend, spannender, Sport mit live-Audiodeskription

Schon als Kind ging ich mit meinem Vater ins Stadion oder verfolgte die Spiele vor der Flimmerkiste. Als die Bilder vor meinem Auge immer mehr verschwommen, sank die Spannungskurve rapide. Ich entdeckte die Radioübertragung für mich

Im vergangenen Jahr erlebte ich dann erstmals in der Arena in Leipzig ein Handballspiel mit Live-Audiodeskription. Alleine die Atmosphäre in der Arena ist ein Besuch wert, doch mit dem Knopf im Ohr und den großartigen Blindenreportern vor Ort verfolgte ich vor meinem inneren Auge jeden Spielzug.

Dank der Live-Audiodeskription in der Arena oder auch bei Sportübertragungen am heimischen Fernseher weiß ich inzwischen genau welcher Spieler den Ball hat, diesen verspielt oder durch welch großartige Parade des Torhüters ein Tor verhindert wurde - und dann geht alles ganz schnell: Tooooor!

All diese Informationen in kürzester Zeit in Worte zu fassen, das ist die hohe Kunst der Live-Audiodeskription!

 

Ob beim Sport, im Kino, auch im Theater oder vor dem heimischen Fernseher gibt es immer häufiger das Angebot der akustischen Bildbeschreibung. Ich finde, dies ist eine großartige Entwicklung.

Während der Handball WM vor wenigen Tagen erlebte ich jedoch einen kleinen Dämpfer.

Sorry, ich muss am Ende dieses Beitrags noch einmal zurückkommen auf die verschwitzten, durchtrainierten Männerkörper. Liebe ARD, wenn ich mich hierfür interessiere, dann wähle ich andere Formate als eine Sportübertragung. Die Beschreibung der Haarfarbe, Frisur und wem wann genau die verschwitzten Haare ins Gesicht hängen, das ist nicht im Sinne des Erfinders der Audiodeskription. Viel mehr Spannung gibt’s hier auf die Ohren:

Youtube Link AWO-Passgenau T_OHR

Danke an AWO-PASSGENAU / T_OHR für das Video!

 

Über Fragen, Anmerkungen oder Ergänzungen zum Thema Audiodeskription in den Kommentaren freue ich mich sehr!

 

Wir müssen reden …

 

Es macht keinen Sinn es zu leugnen, wir nähern uns dem Ende. Bereits nachmittags ist es draußen stockdunkel - hab ich mir sagen lassen. Kalt ist es auch. Die Menschen rennen hektisch durch die Straßen und alles sieht so festlich aus. Höchste Zeit auch für mich langsam auf Betriebstemperatur zu kommen. Also, hoch die Glühweintassen und einen Wunschzettel verfassen.

 

Bild vom Weihnachtsmarkt. Es ist bereits dunkel. Hinter mir der beleuchtete Glühweinstand. Ich schaue in die Kamera, Lieschen zieht es zum Glühweinstand
Grüße vom Glühweinstand!

Mein Wunsch

Ganz oben stehen natürlich Apfel, Nuss und Mandelkern. Ist klar, denn das essen brave Kinder gern. Als braves Kind, das ich zweifelsohne bin, möchte ich mich in diesem Jahr neben all den kleinen Aufmerksamkeiten auf einen einzigen Wunsch beschränken: lass uns reden!

 

Hinter dem Wunsch: lass uns reden, steckt die simple Bitte nach Informationen. Dabei geht es mir nicht zwingend um die Weitergabe weltbewegender Neuigkeiten oder bahnbrechender Erkenntnisse. Viel einfacher … und häufig doch scheinbar sehr schwer. Um etwas deutlicher zu machen was ich meine, ein paar Geschichten, die mein Alltag schreibt.

 

Geschichten über die Stille

Wer kennt Sie nicht, die Schlange an der Kasse. Egal, ob beim Bäcker, im Supermarkt, vor der Eisdiele oder in sonst einem Geschäft. Häufig ist sie schon da, die Schlange. Das bekomme ich in der Regel dadurch mit, dass sich die Menschen unterhalten oder sonst irgendwelche Geräusche machen, indem sie mit dem Einkaufszettel rascheln, husten, das Portemonnaie aus der Tasche kramen oder, oder, oder. Nur eines höre ich meist nicht, welcher dieser Geräuschmacher genau das Ende der Schlange bildet. Also frage ich. Dann gibt es grob zwei Situationen: entweder es ist plötzlich ruhig. Dort wo gerade noch die ganzen Geräusche waren ist es jetzt plötzlich still. In dieser Situation habe ich dann die Möglichkeit das Spiel mit zu spielen und in der Annahme, dass sich tatsächlich alle in Luft aufgelöst haben einfach vor in Richtung Kasse zu gehen. Dies erfordert jedoch einen sehr selbstbewussten Tag oder jede Menge angestauten Frust über die Stille. Die bessere Alternative: man antwortet mir. Ich weiß wo das Ende der Schlange ist und bitte freundlich mir zu sagen, wenn es weitergeht. Doch auch dies ist leider in den allermeisten Fällen nicht zielführend. In der Regel sagt man mir die ersten ein oder zwei Mal, dass es weitergeht, danach herrscht wieder gepflegtes schweigen

 

Habe ich es dann, wie auch immer, in der Schlange bis nach vorn geschafft, steht erneut eine Person vor der Herausforderung mit mir zu kommunizieren: die Verkäuferin. Klappt häufig, häufig sogar auch sehr gut. Es gibt viele, die mir geduldig das gesamte Angebot darlegen oder mich auf ein neues Angebot aufmerksam machen. Doch immer wieder passiert es auch mal, dass auch Verkäuferinnen mich nur erwartungsvoll anschauen. Das merke ich in der Regel natürlich erst dann, wenn vermutlich schon quälend lange Sekunden vergangen sind, da sie sich doch ein Herz fasst und mich anspricht oder ein weiterer Kunde zur Hilfe eilt und mir sagt, dass ich nun dran bin.

 

Die Stille setzt sich im Laufe des Tages fort, und zwar bevorzugt immer dann wenn ich jemanden anspreche und um Informationen bitte. Sei es eben morgens in der Schlange, mittags oder abends, auf der Straße, an der Straßenbahnhaltestelle.

Zwar weiß ich durch eine App, wann genau meine Straßenbahn kommt bzw. kommen soll. Sicherheitshalber frage ich jedoch vor dem Einsteigen immer noch einmal nach. Ich setze also einen Fuß in die Bahn und frage laut in die Runde welche Linie dies ist. Nicht immer, aber auch nicht selten herrscht auch dann Stille. Nehme ich mir ein Herz und steige dennoch ein, da ich mir fast sicher bin, dass dies die richtige Bahn ist, kommt es nicht selten vor, dass ich kaum eingestiegen auf einen anderen Fahrgast auflaufe. Ups, die Bahn ist doch einmal wieder stiller als leer.

 

In der Regel weiß ich natürlich, dass das Schweigen von den wenigsten meiner Mitmenschen böse Absicht ist. Manchmal ist es einfach die Tageszeit. Morgens an der Haltestelle oder beim Bäcker träumt mancher vielleicht noch von seinem weichen Kopfkissen. Hin und wieder sind Unsicherheiten und Berührungsängste im Spiel und manchmal auch Gedankenlosigkeit. Neulich erst stieg eine Frau aus der Bahn in die ich einsteigen wollte. Sie lachte als ich nach der Linie fragte und meinte, jetzt bin ich zwar mit dieser Bahn gefahren, ich weiß aber gar nicht welche Linie das ist. So ist das manchmal im Alltag. Um die Geschichte zu Ende zu erzählen: sie hat kurz nachgeschaut, mir gesagt welche Linie es ist und wir haben uns lachend verabschiedet.

 

Weniger Stille, mehr Informationen!

Ich bin häufig auf Informationen angewiesen, da ich diese beispielsweise nicht über Anzeigetafeln erhalte. Ein Handzeichen oder Kopfnicken hilft mir aber auch nicht weiter. Daher mein Wunsch: lass uns reden!

Ein kleines Wort kann wirklich hilfreich sein und wenn es dazu noch freundlich ist, macht es den Tag auch ein wenig schöner. Unsicherheiten sind unnötig, denn ich bin über Informationen immer sehr dankbar und habe häufig ein Lächeln, auf jeden Fall aber immer ein Dankeschön übrig.

Umgekehrt darf man mich natürlich auch immer gerne um Informationen bitten. Zwar sind die Passanten, die mich auf der Straße um eine Wegbeschreibung bitten erst ein wenig irritiert, nachdem sie bemerkt haben, dass sie gerade eine blinde Frau gefragt haben, doch wenn ich den Weg kenne ist das ja kein Problem.

 

In diesem Sinne, ich wünsche für die Adventszeit ein wenig Ruhe für die schönen Dinge des Lebens und hin und wieder ein hilfreiches oder auch nur nettes Wort auf den Lippen!

 

Wenn Du einen Wunsch an mich und diesen Blog hast, eine Anmerkung oder Frage, dann kannst Du mich auch immer gerne darauf ansprechen oder in die Kommentare schreiben.

 

 

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Hund sucht Zebra

 

Stopp, ich möchte keine falschen Erwartungen wecken. Dies ist keine Kontaktanzeige. Ich möchte meinen Stinki nicht loswerden. Vielmehr ist es eine kleine Liebeserklärung und ein Einblick was so ein Blindenführhund alles kann - schließlich war am 10. Oktober Welthundetag.

 

Lisa, Lieschen, Stinki oder Stinker habe ich schon in anderen Beiträgen erwähnt. Klar, sie ist ja auch meist an meiner Seite. Daher wird es auch Zeit einmal genauer zu schreiben, wie das Leben mit ihr so aussieht. Kurz und knapp: fröhlich und verfressen.

Links im Bild steht ein Engel aus Holz. Rechts daneben liegt Lisa und schaut ind die Kamera. Sie hat ihren Hundeblick aufgesetzt
Der Schein trügt, der Engel ist links im Bild.

 

Lisa ist ein schokobrauner Labrador. Damit ist klar, in unserem Haushalt spielt die Nahrungsaufnahme eine wichtige Rolle. Entsprechend ihrer Rasse springt sie aber auch in jede Pfütze und nach einer Abkühlung im Brunnen oder See wird dann aus Lisa Stinker. Aber dies ist ja keine Kontaktanzeige, daher komme ich nun besser zu dem, was sie als Blindenführhund auszeichnet.

 

Lisas Ausbildung begann, wie bei den meisten Blindenführhunden, mit einem Jahr und dauerte ca. sechs Monate. In dieser Zeit lernen die Vierbeiner eine Menge.

 

Hindernisse anzeigen und umgehen

Blindenführhunde lernen in der Ausbildung Hindernisse anzuzeigen und zu umgehen. Das Besondere dabei ist, dass sie nicht nur das als Hindernis erkennen, was ihnen selbst im Weg steht, sondern vor allem auch für denjenigen problematisch werden kann, den sie führen. Das heißt einen Ast, der auf einer Höhe von 1,50 Metern in den Weg ragt, unterläuft ein Hund lässig. Ich hätte diesen Ast jedoch im Gesicht. Noch unangenehmer wird es, wenn man den Spiegel eines LKWs oder ein Verkehrsschild küsst.

Mit einem Blindenstock bekommt man nur die Hindernisse mit, die am Boden lauern. In der Zeit vor Lisa habe ich daher auch immer gerne mal Autos unterlaufen. Je nach Geschwindigkeit, mit der ich so unterwegs war, habe ich mir dann den Stock mehr oder weniger heftig in den Bauch gerammt. Das soll nicht heißen, dass ich mit dem Stock nicht zurechtkam. Vor Lisa war ich 15 Jahre mit Stock unterwegs und kam ohne größere Unfälle überall an, doch ein Blindenstock kann eben vieles nicht, was ich heute an Lisa schätze. Aber daran musste ich mich auch erst einmal gewöhnen. In der ersten Zeit haben wir uns regelmäßig verlaufen, da ich mit Lisa auf ganz andere Signale achten muss als mit Stock. Orientierte ich mich beispielsweise früher an einem Fahrradständer, gegen den ich zuverlässig mit dem Stock stieß, so erkennt Lisa diesen als Hindernis und umläuft ihn.

 

"Umwege erweitern die Ortskenntnis."
(Kurt Tucholsky)

Kommandos wie "Such Zebra!"

Blindenführhunde lernen während der Ausbildung aber auch eine ganze Menge an Kommandos. Dazu gehören Richtungsangaben wie links, rechts oder gerade aus. Auf ein entsprechendes Kommando hin führt sie mich auch zur Treppe, Bus- oder Straßenbahnhaltestelle, zur Ampel, zu einem Aufzug; und wer mich einmal mit Lisa in der Stadt trifft und ich sage "Such Zebra!", dann sind wir nicht auf Safari oder Droge, sondern dann soll sie mich zu einem Zebrastreifen führen.

 

All dies erleichtert den Alltag enorm. Wie ich immer sage: Als blinder Mensch hüpfe ich locker eine Treppe rauf oder runter. Ich muss nur wissen, wo die Treppe ist. Seitdem ich Lisa nun auch noch die Kommandos "Such Bäcker!" und "Such Döner!" beigebracht habe, ist die Treppe als Alternative zum Aufzug noch deutlich wichtiger geworden.

 

Weitere Beispiele aus dem Alltag

Gerade wenn man mit Stock unterwegs ist, ist man noch stärker als mit Hund auf das Gehör angewiesen. Wenn in einer engen Gasse nun aber ein Fahrzeug mit laufendem Motor steht, wird es schwierig. In einem solchen Fall gebe ich Lisa das Kommando "Such Weg!" und wenn es einen sicheren Weg an dem Fahrzeug vorbei gibt, dann führt sie mich daran vorbei.

Auch bestimmte Witterungsverhältnisse wie starker Regen können das Überqueren einer Straße deutlich erschweren, da ich möglicherweise ein heranfahrendes Auto erst zu spät höre. In diesen Fällen habe ich die Sicherheit, dass Lisa bei drohender Gefahr mein Kommando, beispielsweise die Straße zu überqueren, verweigern würde.

 

Entgegen häufiger Annahmen kann ein Hund, auch ein ausgebildeter Blindenführhund jedoch weder rot noch grün an der Ampel unterscheiden. Den Verkehr deuten oder auf das Tonsignal der Ampel hören, und dann das entsprechende Kommando zu geben, ist mein Job. Natürlich zählt es auch zu meinem Job, für einen entsprechenden Ausgleich, sprich Freizeit zu sorgen.

Abschließend eine Bitte!

Sicher soll der Blindenführhund, während er im Führgeschirr ist, andere Hunde ignorieren und sich auch sonst nicht ablenken lassen. Doch so ein Hund ist auch nur ein Mensch, und wenn Hundebesitzer meinen, ihr Hund soll mal eben "Hallo" sagen, dann muss ich ihn bzw. sie leider enttäuschen. Lisa kann wirklich viel, aber in all den Jahren, die ich nun mit ihr lebe hat sie noch nie "Hallo" gesagt. Sie kann es einfach nicht! Wirklich!

Lisa im Führgeschirr mit Kenndecke. Auf der Kenndecke steht: Nicht Ablenken, bin im Dienst!
Lisa bei der Arbeit, im Dienst!

Ebenso sollte man dem Blindenführhund seinen Job nicht unnötig erschweren bzw. Hund und Mensch am anderen Ende in Gefahr bringen, indem man den süßen Vierbeiner anspricht, streichelt oder Blickkontakt aufnimmt. Mich hingegen darf man gerne ansprechen, mich auf Gefahren aufmerksam machen oder mir Hilfe anbieten.

 

Über Fragen oder Ergänzungen zu den vierbeinigen Begleitern in den Kommentaren freue ich mich!

Mehr Meer oder Ostseh

 

Die Sonne brennt seit Wochen vom Himmel und selbst nachts kühlt es kaum mehr ab. Da kommt man schon mal auf solch einen geistreichen Titel. Aber tatsächlich geht es in diesem Beitrag um die Ostsee, genauer um meinen ersten Kurztrip alleine mit meinem Blindenführhund Lisa.

Mein Urlaub ist für September bereits gebucht, daher war dieser Kurztrip übers Wochenende nicht geplant. Bis September ist es aber noch so lange hin. Ich sehne mich nach einer kleinen Auszeit, Sonne und Salz auf der Haut und am Montag habe ich frei. Also los geht's!

Zugegeben, ganz so lässig bin ich diesen spontanen Kurztrip nicht angegangen, denn auch wenn dies nun wirklich nicht meine erste Reise war, so war es dennoch eine Premiere. Bisher hatte ich mich immer spätestens am Urlaubsort mit Familie, Freunden oder einer Reisegruppe getroffen. Aber ich hatte diesen Plan alleine an die Ostsee zu fahren vorsorglich schon so vielen Leuten erzählt, dass ich kaum mehr zurück konnte. Letzte Rettung: im Hotel ist kein Zimmer mehr frei, schließlich ist Hauptsaison.

Montagabend, ich höre das Freizeichen und rechne nicht wirklich damit, dass noch ein Hotelmitarbeiter abnimmt. Das ging schon mal schief. Das Zimmer von Freitag bis Montag ist nun also reserviert.

Meine Bedenken?

Was soll schon passieren, der Zug weiß wohin er muss. Ich muss mich nur reinsetzen und ich habe eine Umsteigehilfe beantragt. Na gut, für Büchen gab es keine Umsteigehilfe, aber in gut 20 Minuten sollte ich mich ja wohl durchfragen können. Dass der Zugbegleiter mit einem blinden Fahrgast überfordert war, konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht wissen. Dank einer Verspätung von gut 30 Minuten hatte ich dann aber mehr als genügend Zeit.

Auch bezüglich des Hotels hatte ich keine großen Bedenken. Ich habe mich für ein AURA-Hotel entschieden. AURA-Hotels sind speziell auf die Bedürfnisse ihrer blinden und sehbehinderten Gäste eingerichtet. Die Zimmernummern sind taktil erfassbar, die Willkommens-Mappe auf dem Zimmer mit allen wichtigen Informationen liegt unter anderem in Brailleschrift aus, und am Buffet sind die Mitarbeiter des Hauses behilflich. Auch begleitete Ausflüge werden angeboten - diesbezüglich war es aber im Vorfeld sehr schwierig Informationen zu bekommen, und genau hier lagen meine größten Bedenken. Was, wenn ich nun zwei Tage im Hotel sitze. So schön das Hotel auch sein mag mit seinem Garten und den lauschigen Sitzplätzen, meine freien Tage möchte ich nicht im Hotel verbringen.

Aber gut, was hatte ich zu verlieren? Selbst wenn es so käme, wenn ich es nicht ausprobiere, weiß ich es nicht.

Und so war es dann wirklich: Großartig!

Dank meinem Blindenführhund Lisa, einer super Navigations-App und zahlreichen lustigen, netten und hilfsbereiten Begegnungen war dieser erste Kurztrip alleine ein voller Erfolg.

Schon beim Umsteigen in Büchen traf ich die ersten hilfsbereiten Mitreisenden, und das zog sich wie ein roter Faden durch die weiteren Tage. Auch am Hundestrand hatte ich das Gefühl, dass alle mit nach Lieschen schauten, und mit zwei netten Frauen ging's nach dem Badespaß noch in die Strandbar.

Den Weg zum Hundestrand, unweit vom Hotel, zeigte mir eine Hotelmitarbeiterin. Die einzige Herausforderung auf diesem Weg bestand darin, die Abzweigung von der Strandpromenade zum Hotel zu finden, ansonsten ging es ja auf der Promenade immer nur gerade aus. Für die richtige Abzweigung hatte ich Lieschen und um noch entspannter sein zu können, hatte ich mir am Vorabend der Reise noch eine Navigations-App geleistet. Diese App wurde gemeinsam mit blinden Menschen entwickelt und bisher hörte ich nur Gutes. Zurecht!

Bei einer kleinen Pause ließen wir uns auf der Seebrücke den Wind um die Nase wehen und meine neue App sagte mir, welche Cafes, Restaurants, Hotels, Sehenswürdigkeiten etc. sich in meiner Nähren Umgebung befinden. Ich suchte mir ein Café aus, das laut seiner Homepage bereits Udo Lindenberg und Franz Beckenbauer zu Gast hatte. Da durften Lieschen und ich ja wohl nicht fehlen. Also Navi neu eingestellt und los ging's.

Ab ging's auch nach Travemünde. Ich hatte am Samstagvormittag noch die Gelegenheit an einem begleiteten Ausflug des Hotels zur Travemünder Woche teilzunehmen. So konnte ich in zwei Tagen Ostsee diesen Ausflug, etwa 13 km auf der Strandpromenade, drei Mal Hundestrand, ein Café-Besuch und absolute Entspannung genießen.

Auf der Nordmole in Travemünde mit Segelbooten im Hintergrund
Nordmole in Travemünde 2018

Dies war garantiert nicht meine letzte Reise alleine mit Hund. Hast Du ähnliche Erfahrungen oder Tipps für Reiseziele, die sich für einen Kurztrip eignen, dann freue ich mich über einen Kommentar!

 

Was haben (blinde) Menschen und Äpfel gemein?

 

Eine kleine Geschichte über die Inklusions-Äpfelchen und warum Barrierefreiheit so wichtig ist, ohne das Wort Inklusion oder Barrierefreiheit zu erwähnen.

Vieles was ich hier in diesem Blog schreibe, entspricht meiner ganz eigenen Sicht auf die Dinge. Ich berichte von meinen Ansichten und Erfahrungen und diese sind natürlich geprägt durch individuelle Voraussetzungen, Herangehensweisen oder Umstände.

Mit meinen Beiträgen möchte ich also lediglich einen Einblick in mein Leben geben. So läuft es bei mir, und manchmal läuft es eben auch nicht. Bei anderen blinden Menschen kann es ganz anders aussehen. Ist ja auch klar, denn in erster Linie sind wir alle Menschen und damit jeder von uns einzigartig!

Was hat das nun mit Äpfeln zu tun?

Auch Äpfel sind sehr vielfältig. Sie unterscheiden sich in ihrer Größe, Form, ihrer Farbe und im Geschmack. Kennt man einen, kennt man noch lange nicht alle, selbst von der gleichen Sorte nicht.

Ich wurde bereits als kleines Äpfelchen gut gehegt und gepflegt. Mit meinen roten Bäckchen hing ich an einem kräftigen Baum mit tiefen Wurzeln. Dies gab mir immer die Sicherheit mich ausprobieren zu können.

Mit 13 Jahren bekam meine glänzende Oberfläche die erste Delle. Ein drastischer Sehverlust, ein Makel! So dachte ich zunächst, und auch für meine Eltern war es nicht einfach. Doch auch wenn der Ast an dem ich hing sich etwas in Richtung Boden neigte, versorgten mich die Wurzeln weiterhin gut mit Nährstoffen. Mein Vater setzte mich auf sein Moped und strampelte auf seinem Fahrrad vor mir her, sodass ich mich an ihm orientieren konnte. Er gab mir Fahrstunden in unserer Familienkutsche und meine Mutter packte die Koffer. Nein, sie hat nicht das Weite gesucht - zumindest nicht alleine. Seit dem Eintritt meiner Sehbehinderung sind wir beide einmal jährlich für ein verlängertes Wochenende verreist. So konnte ich mich und das Leben mit Sehbehinderung weiterhin ausprobieren, neue Erfahrungen sammeln und neue Wege finden.

Auch im späteren Leben traf ich immer wieder auf Lehrer und Vorgesetzte, die mich darin bestärkt haben, mich auszuprobieren, ich selbst zu sein und die Blindheit nicht als Makel zu sehen. "Es ist keine Schwäche, dass Du nichts siehst, sondern eine Leistung" - so oder so ähnlich drückte es einmal ein Vorgesetzter aus. Dies anzunehmen fiel mir zunächst etwas schwer, doch er ergänzte: "Dies gilt ebenso für die Kollegen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Neben ihrer Arbeit am Institut sehen sie sich zusätzlich der Herausforderung gegenüber ihren Alltag in einer fremden Kultur und einer fremden Sprache zu meistern, und das ist eine Leistung."

Um noch einmal auf die Äpfelchen zurückzukommen: Alle Äpfelchen, die als wohlschmeckender Apfel heranwachsen sollen, brauchen eine gute Pflege und beste Voraussetzungen. Das heißt der Baum selbst, also das unmittelbare Umfeld sollte stark und gesund sein, aber auch die Umweltbedingungen spielen eine große Rolle. Eine Windböe kann einem kräftigen und gesunden Baum nicht viel anhaben, und eine Delle vermindert den Geschmack noch lange nicht. Doch eine große Dürre oder ein Wirbelsturm haben schwere Folgen - nicht nur für das zu Schaden gekommene Äpfelchen. Auch alle anderen werden nie erfahren, wie wohlschmeckend dieses zu klein geratene, runzlige oder fleckige Äpfelchen ist, und wieviel Freude es uns in Form von Apfelsaft, Apfelkuchen oder Apfelmus bereiten kann.

Hast Du Appetit auf mehr Gedanken oder Erlebnisse von mir bekommen, dann freue ich mich über Kritik und Wünsche für weitere Beiträge in den Kommentaren!